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Foreigners Everywhere - Die Biennale von Venedig 2024

„Fremde überall“ lautet das Motto der internationalen Kunstausstellung, wobei in der Umsetzung vor allem bisher unterrepräsentierte Weltgegegenden wie der „globale  Süden“, die Themen Flucht und Vertreibung sowie die Unterdrückung von Frauen und die Ausgrenzung nonbinärer und queerer Menschen Niederschlag finden. - Wichtige Themen, keine Frage, und es ist Aufgabe der Kunst, sie in die öffentliche Diskussion zu bringen. Dennoch fehlte mir persönlich eine größere Differenzierung. „Fremde“, will heißen benachteiligte Personengruppen, finden sich auch anderswo in unserer Gesellschaft - nur scheinen sie den Kurator weniger zu interessieren als jene, denen er selbst angehört. Die Nachteile, die etwa behinderte Menschen im Alltag erleben, kommen viel zu kurz - das brennende Thema Mental Health bleibt völlig ausgespart.

 

Dennoch bietet die Ausstellung bereichernde Eindrücke. Allen voran überzeugte mich der deutsche Pavillon mit dem berührenden Schicksal eines Mannes, der, aus prekärsten Verhältnissen in der Türkei nach Deutschland geflüchtet, als „Gastarbeiter“ in einer Eternitfabrik arbeitete, wo er aufgrund der Asbestbelastung früh sein Leben verlor. Bewegend die nachgestellte Wohnung, die ein bescheidenes Leben im Deutschland der 1970er Jahre treffend wiedergibt - nur dass alles von einer dicken Schicht grauen „Asbeststaubs“ bedeckt ist. Das Gegenstück dazu bietet die eindrucksvolle dreidimensionale Videoinstallation, die das Bild einer möglichen Zukunft zeichnet, in der sich die Menschen im Weltall einen neuen Lebensraum schaffen.

 

Der israelische Pavillon bleibt „bis zur Vereinbarung eines Waffenstillstands und der Freilassung der Geiseln“ geschlossen und wird nichtsdestotrotz schwer bewacht. Bunt und verspielt geben sich die USA, ein unerwartetes Highlight setzt demgegenüber Serbien mit der naturgetreuen Darstellung einer düster anmutenden Szenerie um die frühen 1990er Jahre, die das zwiespältige Verhältnis des Landes zu Europa treffend zum Ausdruck bringt.

Schrilles bietet die Schweiz mit einem knallbunten, queer-kitschigen Zukunftsszenario und lustvoller Persiflage der eigenen Heidi-Mentalität. Auch in den Hauptausstellungen findet sich Interessantes - wenn ich hier auch weniger Höhepunkte ortete als in den Länderpavillons.

 


Nicht versäumen sollte man den Besuch des Arsenale - allein schon aufgrund der beeindruckenden Architektur der ehemals größten Werftanlage Europas, die man außerhalb der Biennale nicht zu sehen bekommt. Hier beeindruckte mich vor allem die Ausstellung Saudi-Arabiens, die unter dem Titel „Shifting Sands“ mit stilistisch starken Mitteln die Unterdrückung der Frau in der Gesellschaft kritisiert. Eine positive Überraschung war auch der Beitrag der Türkei: „Hollow and Broken“ zeichnet ein ausdrucksvolles Bild des Verfalls unserer von Kriegen und (religiösen) Auseinandersetzungen geprägten Welt.

 

Auch außerhalb der beiden großen Ausstellungsgelände in den Giardini und am Arsenale bietet die Biennale von Venedig Kunsterlebnisse aller Art: In etlichen Palazzi und Kirchen stößt man auf Ausstellungen zum übergreifenden Thema. Wie es nun mal so ist mit der Kunst: Manches spricht mich an, anderes weniger bis gar nicht. Einige Ausstellungen sind für meinen Geschmack zu offensichtlich vom jeweiligen (meist autoritären) Regime gutgeheißen, anderes halte ich schlichtweg nicht für Kunst, sondern eher für Kunsthandwerk oder aber für den verkrampften Versuch, „anders“ und „modern“ zu sein. Künstlerisches Schaffen ist für mich niemals Kunst, wenn es primär dem Selbstzweck dient.

 

Aber genug der strengen Worte: Wer aufmerksam und offen durch die Stadt streift, wird immer wieder auf sehenswerte Kunstwerke stoßen. So steht etwa hinter dem Beitrag Kameruns ein interessanter Gedanke - außerdem ist allein schon der Palazzo Donà dalle Rose einen Besuch wert. Als äußerst informativ und inspirierend empfand ich die Ausstellung der Karibikinsel Grenada, die (naheliegenderweise) das Zusammenspiel zwischen Mensch und Meer beleuchtet. In der Kirche San Giorgio Maggiore ist die Ausstellung „City of Refuge III“ der belgischen Künstlerin  Berlinde de Bruyckere untergebracht. Ihre düsteren, fast unheimlichen Skulpturen - von (gefallenen) Engeln bis zu Reliquien symbolisierenden Körperteilen -  erwecken unbequeme Assoziationen: Leid, Schmerz, Einsamkeit und die Vergänglichkeit des Lebens.

 

Wer alle Stationen der Biennale erleben will, muss sich jedenfalls ein 3-Tage-Ticket nehmen und auf längere Fußmärsche einstellen, denn die Ausstellungsorte sind über die ganze Stadt und die umliegenden Inseln verstreut. Die Mühe wird mit vielseitigen, abwechslungsreichen Eindrücken belohnt, allein schon wegen der eleganten Palazzi und prächtigen Kirchen, die selbst für einige Venedig-Kenner neu sein dürften.

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