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Königin der Berge

Daniel Wisser

Klappentext:

Herzzerreißend komisch erzählt dieser Roman von den letzten Dingen – und den vorletzten und vorvorletzten, vom Leben in seiner schrecklichen Schönheit und der Unmöglichkeit zu sagen, wann man es gut sein lassen kann.

Robert Turin, Mitte vierzig, will in der Schweiz sterben, denn dort könnte er selbst bestimmen, wann es so weit ist. Lieber noch wäre es ihm, er wäre nicht unheilbar krank, aber an der Diagnose ist nicht zu rütteln: Multiple Sklerose. Um seiner Frau nicht zur Last zu fallen, übersiedelt er freiwillig in ein Heim. Pflegeleicht ist der verschrobene Patient nicht, das merken die Schwestern bald. Während sich sein Zustand verschlechtert, beschließt er, seinem Leben ein Ende zu setzen. Doch so einfach ist das nicht: Auch zum Sterben braucht man Hilfe. Und wer fährt ihn in die Schweiz?

 

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Meine Meinung:

Von einem, der auszog, das Sterben zu lernen

Ein launiger Roman über einen pflegebedürftigen MS-Patienten, der sich nichts sehnlicher wünscht als den Freitod - kann es so etwas geben?

 

Es kann - jedenfalls wenn der Autor Daniel Wisser heißt! „Königin der Berge“ nennt sein Protagonist Herr Turin die Erkrankung, die ihn schon in jungen Jahren zum Pflegefall gemacht und mit knapp 40 an die Endstation seiner Existenz befördert hat. Mit dem Leben im Pflegeheim hat sich der (auch in seinem Zustand noch amourös höchst aktive) Frauenheld und Alkoholiker längst abgefunden - auch wenn er von früh bis spät am Nörgeln ist und das (von ihm durchaus geschätzte) Pflegepersonal bis aufs Blut quält. Einzig dass es ihm nicht freisteht, den Zeitpunkt seines Todes selbst zu bestimmen, will er partout nicht hinnehmen. Und so sucht er beständig nach Tricks, um seine aufmerksamen Mitmenschen zu überlisten und sich ins Jenseits zu befördern.

 


Der Roman hat über weite Strecken mehr von einem Drama als einer Erzählung, wird doch ein großer Teil der Handlung in Form der direkten Rede wiedergegeben. Dabei handelt es sich sowohl um Gespräche, die Herr Turin mit den ihn umgebenden realen Personen oder seinem längst verstorbenen Kater Dukakis führt, als auch um Gedanken, die ungesagt bleiben wollen oder müssen. Wisser benutzt ein interessantes Stilmittel, das mir noch in keinem anderen Buch untergekommen ist: Während in der linken Spalte die höfliche Konversation seiner Charaktere abgedruckt ist, steht in der rechten Spalte das, was sie eigentlich meinen - die hinter dem zivilisierten Dialog verborgenen ehrlichen, oft bösartigen und manchmal brutalen Gedanken. Auch außerhalb von Dialogen kommt es oft vor, dass sich der Protagonist die eigenen Gedanken verbietet, sie quasi wieder „ungedacht“ macht - was der Autor durch das Durchstreichen der betreffenden Sätze kennzeichnet.

 

So entsteht das vielschichtige Abbild eines tragischen Schicksals, das die Hauptperson - und mit ihr die Leserin, der Leser - dennoch mit Humor und Lebensfreude tragen. Wir leiden mit Herrn Turin, wir bemitleiden ihn, wir verachten ihn aber vielleicht auch für seine zahlreichen Zwangsneurosen, seinen Egoismus, die Art und Weise, wie er andere Menschen (insbesondere Frauen) geschickt für seine Zwecke einzusetzen weiß. Gleichzeitig lachen wir mit ihm über die Skurrilitäten des Heimlebens, freuen uns über seine kleinen Erfolge - und wir verstehen ihn.

 

Was kann ein Roman mehr erreichen, als dass sich seine Leserschaft mit einer so schwierigen Persönlichkeit in einer nahezu unerträglichen Lebenssituation identifiziert? Daniel Wisser gelingt das Kunststück - und es gelingt ihm auf eine Art und Weise, der das Lachen immer näher ist als das Weinen. Ein Balanceakt in beispielloser Formvollendung! Lesenswert!

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