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Äußere Schönheit und innere Abgründe

Trotz seines stolzen Alters von über 130 Jahren ist Oscar Wildes Roman „Das Bildnis des Dorian Gray“ heute so aktuell wie bei seiner Entstehung.  Die Illusion von ewiger Jugend und Schönheit als höchstes anstrebenswertes Gut, dem die Menschen ebenso verzweifelt wie vergeblich hinterherjagen, prägte wohl zu allen Zeiten unsere Gesellschaft. 

 

Verführt durch einen skrupellosen Einflüsterer geht der junge, bildschöne Dorian Gray einen mysteriösen Pakt ein, der sein Porträt an seiner Stelle altern lässt. Auch die Folgen seines in jeder Hinsicht ungezügelten und rücksichtslosen Lebensstils hinterlassen ihre Spuren nur an dem Gemälde, nicht jedoch auf dem Gesicht des Protagonisten. Während dieser in unersättlicher Lebensgier immer neue Abenteuer sucht und dabei andere Menschen missbraucht, verletzt und zerstört, leidet er zunehmend an der inneren Leere, die ihm allen Ausschweifungen zum Trotz mehr und mehr zu schaffen macht. 

 

Selten - womöglich nie - zuvor habe ich eine so großartige Romaninszenierung gesehen wie im Akademietheater in Wien! Das Bühnenbild ist als vielschichtiges Gestänge gestaltet, auf dem der grandiose Schauspieler Markus Meyer, der die gesamte Aufführung als One Man-Show bestreitet, während seiner Monologe äußerst wendig, zum Teil sogar akrobatisch herumklettert. Wunderbar symbolhaft auch die goldene Halbmaske, die den Protagonisten als das zeigt, was er ist: keine authentische Persönlichkeit, sondern nur ein Abbild  seiner selbst.

 

Obwohl nur ein einziger Schauspieler auf der Bühne steht, ist das Stück reich an Dialogen: Denn auf den unzähligen Bildschirmen, mit denen das Bühnenbild bestückt ist, begegnen wir den weiteren Charakteren, allen voran dem dämonischen Lord Henry und dem unglücklichen Maler Basil, der in seiner grenzenlosen Verehrung für Dorian Gray das Bildnis erschafft, das seinem Idol zum Verhängnis wird. Dabei werden ausnahmslos alle Figuren von Markus Meyer verkörpert, der auf diese Art nicht nur einen eindrucksvollen Beweis seines vielfältigen schauspielerischen Repertoires liefert, sondern auch während des gesamten Stücks im Dialog mit sich selbst steht - eine geradezu geniale Umsetzung der inneren Konfrontation des Protagonisten mit 


 verschiedenen, miteinander in Widerstreit stehenden Aspekten seiner eigenen Persönlichkeit.

 

Beeindruckend fand ich auch den Kunstgriff der Regie, einzelne Ausschnitte aus Gesprächen in kurzen Blitzlichtern wiederholt zu zeigen. Besser könnte man nicht veranschaulichen, wie die Einflüsterungen und Einflüsse seiner (wahren und falschen) Freunde auf den Protagonisten ein- und in ihm nachwirken, und welche Prozesse sie in ihm auslösen.

 

Last, but not least sei die musikalische Untermalung des Geschehens erwähnt, die die emotionale Entwicklung des Protagonisten, seine (vermeintlichen) Höhenflüge und tiefen Abgründe mit ungeheurer Treffsicherheit betont und unmittelbar spürbar macht. 

 

Fazit: Ein zeitloses Werk voll psychologischer Tiefgründigkeit in einer Inszenierung, die den Romanstoff nicht nur perfekt umsetzt, sondern womöglich in ihrer Vielschichtigkeit noch übertrifft.

Anschauen! Unbedingt! Wer es nicht tut, versäumt etwas!

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