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Das geht unter die Haut!

Den letzten Abend vor dem bundesweiten Lockdown musste ich natürlich für einen Theaterbesuch nutzen. Meine Wahl fiel auf Schillers „Maria Stuart“ im Burgtheater. Ein wenig Bedenken hatte ich zwar im Vorfeld, hatte ich doch befremdliche Gerüchte über jede Menge Nackter auf der Bühne gehört. Aber wer wagt, gewinnt!

 

Tatsächlich: Das Bühnenbild wurde während der meisten Szenen von gezählten 30 splitternackten, weitgehend bewegungslos dastehenden Männern geprägt. Bestimmt ein Symbol für irgendwas - die Ohnmacht von Frauen in einer männerdominierten Gesellschaft vielleicht ? Ich weiß es nicht. Mir erschloss sich die Sinnhaftigkeit nicht wirklich. Da es sich jedoch bei den hüllenlosen Statisten fast ausschließlich um äußerst sehenswerte Exemplare handelte, sei dem Regisseur verziehen - man nehme es einfach als zusätzlichen (wenn auch unerwarteten) Lustgewinn eines Theaterabends.

 

Doch auch und vor allem in kultureller Hinsicht bot die Aufführung Hochgenuss: Allein schon Schillers wunderschöne Sprache, vorgetragen im sprichwörtlichen Burgtheaterdeutsch, reicht aus, um zu verzaubern. Großartig die schauspielerischen Leistungen - vor allem Bibiana Beglau als Elisabeth, zerrissen zwischen ihren hohen Erwartungen an sich selbst und ihren Gefühlen, mit grenzenloser Macht ausgestattet und doch nur die Marionette männlicher Manipulation, bot eine grandiose Vorstellung.

 

Der tosende Applaus am Ende war wohlverdient. Als dann noch Burgtheaterdirektor Martin Kušej auf die Bühne kam und sich mit emotionalen, aber auch aufbauenden Worten und einer klaren Abgrenzung von Schwurblern und Krawallmachern für die Zeit des Lockdowns vom Publikum verabschiedete, wollte der Beifall kein Ende mehr nehmen.

 

Besonders bewegend war für mich das Dejavu: Vor etwas über einem Jahr, am 2. November 2020, saß ich am Vorabend eines Lockdowns im Akademietheater (hektischer Kulturgenuss ist offenbar meine Standardreaktion auf drohende Lockdowns) und lauschte gerührt den Abschiedsworten von Martin Kušej. Dann


kam die Nachricht, dass es einen Anschlag gegeben habe und möglicherweise noch Terroristen in Wien unterwegs seien. Bis tief in die Nacht saß das Publikum im verdunkelten Theater fest, bis es unter Polizeieskorte in die Freiheit einer Stadt entlassen wurde, die ihr Gesicht innerhalb weniger Stunden verändert hatte.

 

Berührende Erinnerungen an einen Abend, an dem mitten in Wien unschuldige Menschen gewaltsam ums Leben kamen und die Stadt ein Stück ihrer Unschuld verlor 🖤. Gleichzeitig große Dankbarkeit, in einer Zeit und in einer Stadt zu leben, in der Kultur einen solchen Stellenwert  besitzt ❤️.

 

Ein Theaterabend, der mir in jeder Hinsicht unter die Haut ging.

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